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Angst vor der Übernahme?

Viele Ärzte fürchten die feindliche Übernahme durch Klinikkonzerne. Wie handelt die Politik?

Die Bundesregierung begrüßt die Gründung der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Ihre Prämisse lautet nach wie vor: ambulant vor stationär.

Für die niedergelassenen Ärzte ist dies eine Kampfansage, urteilt der bayerische Hausärzteverband. Die Freie Ärzteschaft (FÄ) spricht sogar von einem Verdrängungswettbewerb durch die Gesundheitsindustrie.

Michael Deffner, Sprecher im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), versteht die Aufregung nicht ganz: "Ein MVZ kann gerade für junge Ärzte auch ein großer Vorteil sein, weil die großen Investitionen für eine eigene Praxis nicht anfallen. Für die Politik bedeuten MVZ immer auch ein Stück weit Kostenersparnis. So sollen nach Ministeriumsangaben Doppel- und Mehrfachuntersuchungen wegfallen. Der Hausarzt kann als Lotse fungieren und die Einweisungen in die Kliniken können reduziert werden. Ganz nach der Prämisse ambulant vor stationär überweist der Hausarzt eher zum Facharzt im selben Haus, als dass er seinen Patienten bei entsprechender Diagnose zunächst ins Krankenhaus einweist."

Dennoch sehen unabhängige Beobachter durchaus auch Vorteile für die Klinikkette. So finden sich in einer Beurteilung der Klinikkette "RHÖN-KLINIKUM AG" durch das von grundsätzlich medizinischen Interessen eher unbeeinflusste Bankhaus Lampe KG im Auftrag der Finanznachrichten und des Magazins Aktiencheck folgende Anmerkungen:

"Der weitere Ausbau der MVZ-Kapazitäten auf nun 18 (Medizinische Versorgungszentren) hat ebenfalls zur überproportionalen Leistungssteigerung beigetragen. Die Zahl der MVZ-Patienten ist um 64% auf 61.157 angestiegen. Das erwirtschaftete EBIT lag bei 0,4 Mio. EUR (-0,4 Mio. EUR im Vorjahr). Drei weitere MVZ-Gründungen sind bis Jahresende geplant. Auch die Servicegesellschaften haben in den ersten sechs Monaten einen positiven EBIT-Beitrag in Höhe von 0,3 Mio. EUR erzielt. Erfreulich werten die Analysten auch den mit der Uniklinik Gießen/Marburg erzielten Überschuss in Höhe von 0,5 Mio. EUR  (ggü. 0,4 Mio. EUR im Vj.). Mit weiteren deutlichen Margenverbesserungen wird spätestens ab 2012 gerechnet, sobald auch der Neubau voll in Betrieb ist.....

....Als langfristiges Ziel hat sich RHÖN-KLINIKUM zum Ziel gesetzt, als flächendeckender Vollversorger aufzutreten. Dabei wird die standortübergreifende Vernetzung im Klinikverbund eine wichtige Rolle spielen, nicht zuletzt auch, um entsprechende Kosten-Nutzen-Effekte generieren zu können. Dabei sieht das Geschäftsmodell u. a. die Einbindung der MVZs und die Etablierung fachbezogener Kompetenzzentren vor, die nach Erachten der Analysten auch langfristig zu einer Stärkung der Wettbewerbsposition beitragen werden."


Rhön ist die erste große Klinikkette, die mit den MVZ in die Offensive geht. Ärzteberater sind sich einig: Im Grundsatz geht es um andere Dinge als um die Versorgung. Ihrem Kenntnisstand zufolge gehe es um einen 36 Milliarden schweren Kuchen. Jeder möchte ein Stück vom Gesundheitsmarkt abhaben. Draußen formieren sich die Investoren, denn über den ambulanten Sektor wird vielleicht einmal der gesamte Gesundheitsmarkt gesteuert.

Auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sieht einen klaren Trend zur Gründung von MVZ. Allerdings wird an dieser Stelle bezweifelt, ob die MVZ immer gleich von der Industrie gegründet werden. Es gibt, so ein Sprecher des BMG, viele MVZ, die nach wie vor in ärztlicher Hand sind.

"Die MVZ werden die gesamte Versorgung verändern", erklärte noch am 16. September eine gut gelaunte Bundesgesundheitsministerin zum Jubiläum des ersten Ärztehauses in Deutschland im Münchener Süden, und gab sich weiterhin von der Idee überzeugt, dass mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) 2007 ideale Voraussetzungen für ambulant tätige Ärzte geschaffen worden seien.

Etwas skeptischer beurteilt der Vorsitzende der KV Hamburg, Walter Plassmann, die Entwicklung von medizinischen Versorgungszentren in Hamburg. Wir zitieren aus einem Gespräch, das der Ärztenachrichtendienst mit Herrn Plassmann führte:

"... die Menge an MVZ wird weiter zunehmen. Der Aufbau komplexer Strukturen dauert recht lange. Die MVZ sind noch auf der Suche nach einem erfolgreichen Konzept. Was sich schon abzeichnet, ist, dass große MVZ wie Polikum, die eine komplette Grundversorgung anbieten, nicht die Menge der MVZ ausmachen werden. Große Klinikkonzerne haben sich bei den Quartalsgewinnen etwas verkalkuliert. Eher erfolgreich sind da schmalere MVZ.

... wir haben vier verschiedene Strategien beobachtet - die meisten Klinik-MVZ pflegen hier auch einen recht offenen Umgang mit uns. Die Staubsauger-Strategie hat beispielsweise Asklepios im südlichen Hamburg angewandt. Kliniken müssen für einen Leistungsschwerpunkt, in dem sie hohe Qualität leisten wollen, viele Fälle ins Haus bekommen. Sie müssen sich Zuweiser sichern. Also hat Asklepios orthopädische Zulassungen aufgekauft und den Ärzten die Übernahme als Angestellte angeboten. Daneben sind MVZ nützlich, um Fachgruppen zu arrondieren, die das Klinikum selbst nicht hat. Man gründet eines, das dann beispielsweise die strahlentherapeutische Abteilung darstellt. Das geht drittens auch zur Ergänzung von einzelnen Leistungen. Und viertens kann man mit einem MVZ auch Personalprobleme lösen, wenn man die Leute nicht einfach entlassen kann."

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Köhler, hat Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), in denen Ärzte und andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen nicht das Sagen haben, sogar den Kampf angesagt und liegt damit (erstaunlich genug) auf der gleichen Wellenlänge wie Martin Grauduszus, der Präsident der Freien Ärzteschaft.

Beide werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass mittels Klinikketten und anderen Geldgebern mittelfristig die ambulante Medizin in Deutschland von der Sozialpflichtigkeit zur Renditeorientierung umgepolt werden soll.

Köhler dazu in einem Interview Leipzig: "Die Vertragsärzte spielen in den MVZ immer weniger eine Rolle. Das ist gefährlich, denn damit wird die Freiberuflichkeit immer mehr ausgehöhlt....


... Dazu kommt ein eigentümlicher Widerspruch. In Deutschland wird das Gesundheitssystem von vielen Beteiligten und Beobachtern als sterbenskrank und finanzielles Fass ohne Boden angesehen. Im Ausland und bei Investoren gilt der der deutsche Gesundheitssektor als ausgesprochener Wachstumsmarkt, in dem man glaubt, heftige Gewinne abschöpfen zu können...

...Renditeorientierte Kapitalunternehmen können dann Ketten bilden oder lokale Vorrangstellungen anstreben und dann über die Schiene der Selektivverträge heftig in die ambulante Medizin einsteigen."

Die KBV hat deshalb eine Initiative gestartet mit dem Ziel, die Rechtsgrundlage für die Trägerschaft von MVZ neu zu gestalten. Wir zitieren aus dem Forderungskatalog:

  • Nur Ärzte und nach dem Berufsrecht kooperationsfähige Berufe dürfen bei den MVZ ein Gesellschafter der zwingend zu errichtenden juristischen Person des Privatrechts sein.
  • Die Mehrheit der MVZ-Gesellschafts-Anteile und der Stimmrechte müssen bei Ärzten liegen.
  • Dritte dürfen nicht an Gewinnen beteiligt werden. Gewinnabführungsverträge an Minderheitsgesellschaften oder Dritte sind unzulässig.

Ziel der Initiative ist neben dem Druck auf die Gesundheitspolitik, die Übernahme von immer größeren Anteilen der Versorgung durch Kapitalunternehmen wirksam verhindern.

Andererseits scheut  die KBV aber auch nicht davor zurück, sich bei der Auseinandersetzung um die MVZ genau der Methoden der viel geschmähten Kapitalunternehmen zu bedienen. Da ist zum einen die Stiftung Aeskulap, die bei neuen Versorgungsstrukturen die Ärzte ideell unterstützen wird. Zum anderen eine Aktiengesellschaft, die, de jure ohne KBV- oder KV-Einfluss, als wirtschaftlicher Wettbewerber auftreten und auch eigene MVZ gründen soll.

Quellen: BMG, Rhön-Klinikum, sw, aktiencheck, Finanznachrichten, MedCon Health Contents AG



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