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Kassen zahlen Akupunktur - Medizinische Konsequenz oder politischer Wille?

Kassenpatienten mit chronischen Rücken- und Knieschmerzen haben künftig Anspruch auf eine Akupunkturbehandlung. Das teilte der Gemeinsame Bundesausschuss nach einer Sitzung in Düsseldorf mit. Modellprojekte zeigten: Nadeln sind Standardtherapien zumindest teilweise überlegen. Beschlüsse, Meinungen und der Wortlaut einer Studie im Überblick. Nach Angaben des Ausschusses basiert die Entscheidung auf den Ergebnissen zweier Modellprojekte. Dabei sei die Wirksamkeit der traditionellen chinesische Akupunktur mit Nadeln zur Behandlung von Rücken-, Knie- und Kopfschmerzen getestet worden.

Der Erfolg bei Rückenschmerzen habe nicht wesentlich höher als bei einer Schein-Akupunktur, bei der bewusst falsche Punkte gestochen wurden, gelegen. Allerdings hätten beide Anwendungen deutlich bessere Erfolge als bei Standardtherapien erreicht. Ähnlich sei es bei der Behandlung von Knieleiden gewesen. Für die Behandlung von Kopfschmerzen wurde den Angaben zufolge zwischen beiden Akupunkturformen und der Standardtherapie kein Unterschied festgestellt. Akupunktur zur Linderung von Spannungskopfschmerzen und Migräne wird demnach nicht anerkannt.

Bundesausschuß will Zusatzqualifikationen
BERLIN (hak). Ärzte benötigen weitere Zusatzqualifikationen für Akupunktur. Sie müssen sich darauf einstellen, weniger GKV-Patienten mit der Nadeltherapie behandeln zu können. Das ist die Konsequenz einer Entscheidung des Gemeinsamen Bundesauschusses (GBA). Danach sollen bei gesetzlich Versicherten nur Patienten mit chronischen Rücken- oder Knieschmerzen Anspruch auf jeweils eine Behandlungsserie pro Jahr haben.

Vertragsärzte sollen Akupunktur künftig nur noch abrechnen können, wenn sie außer dem Akupunkturdiplom zusätzliche psychosomatische und schmerztherapeutische Qualifikationen besitzen. Die dafür nötigen Nachweise erfordern jeweils 80 Stunden Weiterbildung.

Zweifel und Kritik
Die Vertreter der Vertragsärzte im Bundesausschuß haben die Entscheidung, Akupunktur als Kassenleistung bei der Behandlung von Patienten mit Rücken- und Knieschmerzen zuzulassen, massiv kritisiert. "Die Ergebnisse von Modellversuchen rechtfertigen nicht diesen Beschluß", erklärte KBV-Vize Ulrich Weigeldt am 19.04.2006 in Berlin.

Die Modellversuche in den vergangenen fünf Jahren haben ergeben, daß sowohl eine echte Akupunktur als auch eine Scheinakupunktur bei Rücken- und Knieschmerzen besser anschlagen als die Standardtherapie. Die Wirksamkeit der Akupunktur sei dadurch nicht zweifelsfrei belegt, sagte Weigeldt. Wenn man jetzt trotzdem Akupunktur zur Kassenleistung mache, verabschiede sich der Bundesauschuß von seinen bislang gültigen Regeln und mache sich für künftige Entscheidungen angreifbar.

Die Krankenkassen verteidigten dagegen die Zulassung der Akupunktur. Mehr noch: Genauso wie die Patientenvertreter wollen sie auch Kopfschmerz- und Migränepatienten Akupunktur als Kassenleistung zugänglich machen. Selbst einen Antrag der Kassen, für diese Patienten die bisherigen Modellversuche weiterlaufen zu lassen, lehnte der Bundesausschuß mit Mehrheit ab.

Ein Vertreter der Innungskrankenkassen, wollte am 19.04.2006 aber nicht ausschließen, daß die Kassen nicht trotzdem versuchen werden, Akupunktur auch jenseits der vom Bundesausschuß bezeichneten Indikationen ihren Versicherten anzubieten.

Wer gewinnt?
Eine Akupunktur ist im Interesse der Patienten, da viele von ihnen dieser Heilmethode vertrauen.Die Übernahme der Kosten durch die Kasse bedeutez nicht nur eine finanzielle Entlastung sondern auch persönliche Bestätigung und Erfolg.

Eine Akupunktur ist im Interesse der Kassen. Angesichts der offenheit von Patienten gegenüber fernöstlichen Heilmethoden und der der grossen Nachfrage nach Akupunktur steht den Kassen mit der Bereitschaft zur Übernahme der Kosten ein effektives Marketinginstrument zur Verfügung. Zudem wurde Akupunktur bislang nur in Modellversuchen finanziert. Wird Akupunktur jetzt in den Leistungskatalog aufgenommen, ist sie im Gesamtbudget abgegolten.

Eine Akupunktur ist im medizinischen Interesse der Ärzte. Viele von ihnen haben viel Zeit in Fortbildung investiert und in der Praxis erfahren, wie Nadelstiche helfen. Allerdings wird die Verrechnung der Akupunktur im Gesamtbudget zum Verlust von Zusatzeinnahmen führen.

Die Studien
Wie das arznei-telegramm Ausgabe 3/2006 berichtet, liegen seit März zwei Studien aus den Modellvorhaben Akupunktur der gesetzlichen Krankenkassen vor. Es handelt sich dabei um die GERAC Studie mit Migränepatienten und die ART (Acupuncture Randomized Trials) Studie, Patienten mit chronischen LWS- Schmerzen, Gonarthrose, Migräne und Spannungskopfschmerzen betreffend.

Basierend auf der Tatsache, dass die Verblindung bei beiden Studien durch Vorabveröffenlichungen im Internet teilweise aufgehoben bzw. nicht gewährleistet wurde, findet in den Medien eine rege Diskussion verschiedener Interessengruppen über Sinn, Zweck und vor allem Aussagekraft der Studien statt. Zur objektiven Meinungsbildung daher die Bekanntgabe der Zusammenfassung der für die Orthopädie relevanteren Originalstudie ART.

Die Zusammenfassung der Acupuncture Randomized Trials (ART)
Quelle: Charité Berlin

Ziel der vier multizentrischen, randomisierten Studien war es zu überprüfen, ob und in welchem Ausmaß eine Verumakupunktur (AK) bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Lendenwirbelsäulen (LWS)-Schmerzen, Schmerzen bei Kniegelenksarthrose (Gonarthrose), Migräne und Spannungskopfschmerzen a) wirksamer ist als eine Minimalakupunktur (MA) und b) wirksamer ist als keine Akupunktur-Behandlung (Warteliste-Gruppe (WL)). Die Studien mit jeweils N=300 waren teils einfach verblindet (AK vs. MA), teils offen (Vergleich mit WL) mit einer Gesamtbeobachtungsphase von 6 bzw. 12 Mo.. In den AK-Gruppen erfolgte eine tiefe Stichtechnik an definierten Akupunkturpunkten, in den MA-Gruppen eine oberflächliche Stichtechnik an Nichtakupunkturpunkten (jeweils 12 Beh./ 8 Wo.). Die Patienten der WL-Gruppen erhielten für einen Zeitraum von 8 bzw. 12 Wo. nach der Randomisierung keine Behandlung, danach AK. In allen Gruppen konnten akute Schmerzen medikamentös behandelt werden. Primärer Zielparameter der Studien waren die Gruppenvergleiche für die Variablen (Baseline vs. Follow-up nach Akupunktur): Schmerz gemessen anhand visueller Analogskala (LWS-Schmerz-Studie); Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) (Gonarthroseschmerz-Studie); Anzahl Kopfschmerztage mittlerer Intensität nach Kopfschmerztagebuch (Kopfschmerzstudien). In allen Studien zeigte sich bezüglich der primären Zielparameter eine hochsignifikante (p<0,001) Verbesserung zwischen AK- vs. WL-Gruppen. Ein sign. Unterschied bezüglich des primären Zielparameters fand sich zwischen der AK- und MA-Gruppe nur bei der Diagnose Gonarthroseschmerzen (p<0,001), nicht aber bei Patienten mit LWS-Schmerzen, Spannungskopfschmerzen und Migräne.

  • Projektleitung: Prof. Willich, Dr. Melchart
  • Projektkoordination: Dr. Witt, Dr. Brinkhaus, Dr. Linde

Veröffentlichungen
(LWS-Schmerzen und Gonarthrose):

  • Brinkhaus B, Becker-Witt C, Jena S, Linde K, Streng A, Wagenpfeil S, Irnich D, Hummelsberger J, Melchart D, Willich SN. Contributed equally. Acupuncture Randomised Trials (ART) in Patients with Chronic Low Back Pain and Osteoarthritis of the Knee ? Design and Protocols. Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10: 185-191.
  • Brinkhaus B, Witt C, Jena S, Linde K, Streng A, Wagenpfeil S, Irnich D, Walther HU, Melchart D, Willich SN. Acupuncture in Patients with Chronic Low Back Pain ? A Randomised Trial (ART Low Back Pain). Arch Int Med; (in print)
  • Witt C, Brinkhaus, S Jena, K Linde, A Streng, S Wagenpfeil, J Hummelsberger, HU Walther, D Melchart, SN Willich. Acupuncture in Patients with Osteoarthritis of the Knee - A Randomised Trial. Lancet 2005;366:136-143.


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