Individuelle Gesundheitsleistungen sind nach Definition der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ärztliche Leistungen, die nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, die dennoch vom Patienten nachgefragt werden und die ärztlich empfehlenswert oder zumindest ärztlich vertretbar sind.
Diese Definition folgt ausschleißlich medizinischen Aspekten, erlaubt also keine Wertung nach wirtschaftlichen Kriterien.
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, weder grundsätzlich noch individuell am Fachbereich orientiert. Einerseits existieren Fachgruppen, die für sich reklamieren, ohne IGeL wirtschaftlich fast nicht überleben zu können und ihrem Qualitätsanspruch gegenüber dem Patienten teilweise nicht gerecht zu werden, andererseits können in bestimmten Fachrichtungen keine oder nur wenige IGeL sinnvoll angeboten werden. Orthopädische Praxen liegen im Spektrum der möglichen Angebote etwa im Mittelfeld, da die großen Lifestyle Themen wie Kosmetik, Ernährung oder Schönheitsoperationen von der jeweiligen Zielgruppe nicht unmittelbar mit diesem Fachgebiet assoziiert werden.
Die grundsätzliche Frage, ob und welche IGeL angeboten werden, sollte aber nie nur nach wirtschaftlichen Grundsätzen getroffen werden. Der Arzt sollte nur Leistungen anbieten, von denen er auch überzeugt ist. Nur so wird er sie erfolgreich bewerben und sinnvoll anwenden können. Ist die Entscheidung, eine Leistung anzubieten, getroffen und aus medizinischer Sicht entschieden, wird es notwendig, sich mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen.
Jede einzelne IGe-Leistung muss wirtschaftlich kalkuliert werden, um ihren Deckungsbeitrag und hierdurch letztlich den Gewinn je Leistung zu ermitteln. Auch wenn eine Leistung aus medizinischer Sicht sinnvoll ist, darf die Praxis mit dem Angebot keine Verluste schreiben!
Die Rentabilität der Leistungen wird bemerkenswert häufig nicht analysiert (Quelle: IWW Institut für Wissen in der Wirtschaft GmbH, Würzburg). Viele Praxen verzichten auf eine detaillierte Auswertung und bieten die Leistungen letztlich undifferenziert an. Sokommt es, dass durch fehlende Transparenz zwar Leistungen für die Praxis vermeintlich ("gefühlt") viel Umsatz bringen, in Wahrheit jedoch wegen hoher Kosten wirtschaftlich nicht sinnvoll sind.
Jedes IGeL-Angebot sollte daher wenigstens mit einer betriebswirtschaftlichen Kurzanalyse kritisch analysiert werden. Für eine Kalkulation werden wenigstens die folgenden Angaben benötigt:
Idealerweise werden IGeL im Wesentlichen von den medizinischen Fachangestellten (MFA) erbracht. In solchen Fällen kann der Arzt parallel weitere Patienten behandeln und zusätzlichen Umsatz generieren.
Die Kosten einer MFA je Minute lassen sich näherungsweise folgendermaßen abschätzen (Beispiel auf 1000):
Monat | Jahr | Summen | |
Gehalt (Gehälter) | 1.000,00 € | 13.000,00 € | |
Sozialabgaben 20 % | 2.600,00 € | 15.600,00 € | |
Fortbildungen | 400,00 € | ||
Gesamt | 16.000 € | ||
Produktive Stunden | 1.600 h | ||
Kosten je Stunde (1 % Monatslohn) | 10,00 € | ||
Kosten je Minute | 0,17 € |
Als ungefährer, approximativer Schätzwert für die Kalkulation der Kosten einer MFA je Stunde kann ca. ein Prozent des Monatsgehalts unterstellt werden.
Die notwendigen Gerätekosten können anhand des Einkaufspreises bestimmt werden. Die laufenden Kosten einer Anschaffung je Minute lassen sich dann näherungsweise folgendermaßen abschätzen (Beispiel auf 1000):
Jahr | |||
Anschaffungskosten | 10.000 € | ||
Wirtschaftliche Nutzungsdauer | 10 Jahre | 1.000,00 € | |
Unterhalts-/Wartungskosten | inkl. Strom und Wartung | 500,00 € | |
Produktive Stunden | 220 Tage x 2 h | 440 h | |
Kosten p.a. | 10.000,00 € / 10 Jahre + 500, 00 € | 1.600 h | 1.500,00 € |
Kosten je Stunde | 1.500 EUR für 440 Stunden | 3,41 € | |
Kosten je Minute | 0,06 € |
Mit den gewonnenen Angaben aus Personal- und Gerätekosten wird das Honrar für die Leistung berechnet:
Personalkosten (für die benötigten Minuten) | |
+ | Material |
+ | Gerätekosten (für die benötigten Minuten) |
= | Gewinn oder Verlust je Leistung |
Von unten nach oben gerechnet ergibt sich der Preis, der erzielt werden muss, wenn ein bestimmter Gewinn erzielt werden soll.
Eine Leistung, die keinen Gewinn erzielt, lohnt sich wirtschaftlich nicht. Ob die Leistung den Patienten aus ärztlicher, medizinischer Sicht trotzdem angeboten werden soll bleibt eine persönliche Ermessensfrage.
Alleine das Angebot einer IGeL-Leistung ist noch nicht ausreichend; die Leistungen müssen auch aktiv beworben und angeboten werden. Lesen Sie hierzu bitte den Artikel "IGeL Vermarkten" in diesem Newsletter.
Werden IGeL angeboten, sollten immer auch die steuerlichen Risiken beachten werden. Denn umsatzsteuerlich sind nur Leistungen steuerbefreit, die dem Erhalt oder der Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Je nach Zielsetzung der IGeL dienen diese jedoch nicht einer Heilbehandlung, sondern dem "allgemeinen Wohlbefinden" der Patienten. In diesem Fall muss die Umsatzsteuer in die Preisermittlung einbezogen werden, da im Regelfall 19 % des Honorars an das Finanzamt abzuführen sind.
Weitere Informationen zu diesem Thema lesen Sie bitte im Artikel "Steuerliche Risiken von IGeL Leistungen" in diesem Newsletter.
IGeL haben häufig hohe wirtschaftliche Potenziale. Dennoch ist es notwendig, jede einzelne Leistung zu analysieren und auf ihre Wirtschaftlichkeit zu überprüfen. Hierbei dürfen die steuerlichen Aspekte nicht übersehen werden, um Nachforderungen in Betriebsprüfungen zu vermeiden.
Quellen und Lesetipps: